Susanne Menge, MdB (Bündnis90/ DIE GRÜNEN), stellvertretende Vorsitzende im Verkehrsausschuss des Bundestages – Kurzfassung (15. Januar 2023)
BVWP… das ist das Kürzel für den Bundesverkehrswegeplan (1), einem Konstrukt aus einer Zeit, in der Ton angebend die Automobilindustrie blieb. Sie stellte die Weichen dafür, wie sich unsere Infrastruktur entwickeln sollte und folgt bis heute einem klaren Ziel: die Projekte sollen gesamtwirtschaftlich vorteilhaft sein.
Nicht die soziale Aufgabe von Mobilität und eine lebenswerte Umwelt stehen im Vordergrund, sondern ökonomische Interessen.
Automobilkonzerne propagierten die autofreundlichen Städte, was den rigorosen Rückbau schienengebundener Verkehrsadern in Stadt und Land zur Folge hatte.
Suggeriert wurde Wohlstand und Komfort, Ergebnisse waren sterbender Einzelhandel und Flächenfraß ungeheuren Ausmaßes. Alles sollte mit dem eigenen Pkw erreichbar sein.
Die Kommune der kurzen Wege verlagerte sich zunehmend auf Städte oder Einkaufszentren auf der grünen Wiese. Kurze Wege zu Fuß oder mit dem Rad zum Einkaufen, zur Schule oder zur Arbeit waren out. (Beeindruckend dazu die Doku-Reihe bei ARTE, „Die Erdzerstörer“)
Schneller, größer, weiter. Wachstum ohne die Beachtung unserer planetaren Grenzen beherrschen noch heute das Denken vieler. So finden sich auf der Seite des Bundesverkehrsministeriums unter dem ehemaligen Verkehrsminister A. Dobrindt diese ersten Sätze zum BVWP: „Das Fundament von Wachstum, Wohlstand und Arbeit bilden Infrastruktur und Mobilität. Ohne Mobilität keine Prosperität – das ist ein ökonomisches Grundprinzip.“
Um diesen ständigen Wachstumsanspruch in Deutschland in den letzten Jahrzehnten zu propagieren, schuf die willige Politik den Bundesverkehrswegeplan.
Dieser Plan geht aus von einem Denken, das unsere Infrastruktur separiert in Wasser, Straße und Schiene, die so genannten Verkehrsträger. Luft ist übrigens kein Verkehrsträger in diesem Denkkonstrukt, obwohl auch Menschen und Güter durch die Luft geflogen und dafür verkehrliche und subventionsintensive Flughäfen und Verkehrsanbindungen gebaut werden.
Fragwürdige Prämissen, die so genannte Verkehrsprognose und besondere Bewertungskriterien, bewerten, was wo und wie dringend gebaut werden muss. Vor allem Autobahnen.
Die Bundesregierung aus CDU und SPD hat den aktuellen Bundesverkehrswegeplan 2016 beschlossen, das Parlament im selben Jahr die dazugehörigen Ausbaugesetze: das Bundesschienenwege-, Bundeswasserstraßen- und Fernstraßenausbaugesetz.
Aber wer liefert denn den überbordenden Bedarf an Fernstraßenbau?
Das sind die 16 Bundesländer. Nach einem Auftrag, der ungefähr so lautet: „Sagt uns, was ihr gebaut haben wollt, und wir, der Bund, bewerten eure Wünsche und sagen euch nach ein bis zwei Jahren, ob eure Wünsche tatsächlich so dringend sind oder eher nicht.“
Lückenschlüsse, Ortsumgehungen, Autobahnverbreiterungen, Autobahnneubauten – alles, natürlich auch Schiene und Wasserstraße, hier vor allem Schleusen, werden von den Bundesländern als Wünsche zusammengestellt. Maßgeblich sind hier selbstverständlich auch die Kommunen, die dem Land und dem Bund ihre Bedarfe melden. Aber letztlich stellt jedes Bundesland zum Stichtag „Anmeldung zum BVWP“ (alle 15 Jahre) die Liste ihres Bedarfs zusammen. Die Länder haben in diesem Zeitraum weder eigene Bewertungen übernommen, noch haben sie umweltrelevante Kriterien entwickelt, um bestimmte Bauanträge von vornherein ‘rauszuschmeißen. Alles darf sein, alles kommt rein und geht an den Bund.
PRINS (2) ist das Projektinformationssystem zum BVWP. Alle Einzelprojekte und ihre standardisierte Bewertung könnt ihr dort einsehen. Natürlich auch den Stand der berechneten Gesamtkosten. In den meisten Fällen sind diese Kostenberechnungen allerdings nicht auf dem aktuellen Stand von 2023.
In der abschließenden Bewertung werden die Projekte so genannten Dringlichkeitsstufen zugeordnet: Vordringlicher Bedarf (VB), Vordringlicher Bedarf mit Engpassbeseitigung (VB-E), Weiterer Bedarf (WB) und Weiterer Bedarf mit Planungsrecht (WB*). Interessant sind nur VB und WB*, weil sie quasi gemeinsam die vom Ministerium als dringend definierten Projekte betreffen.
Ausschlaggebend ist die Berechnung nach der Wirtschaftlichkeitsuntersuchung sowie dem Kosten-Nutzen-Verhältnis. Zugrunde liegt dafür der so genannte gesamtwirtschaftliche Vorteil in der abschließenden standardisierten Bewertung aller Projekte. Wenn in der Bewertung der Nutzen-Kosten-Faktor größer ist als der Faktor Eins, gilt ein Projekt als wirtschaftlich vorteilhaft, der Nutzen dieses Projekts also höher zu bewerten ist als die dafür aufzuwendenden Kosten.
Es gibt etliche Projekte im BVWP, die man aus politischen Gründen irgendwie über Eins gehievt hat, um das Planungs- und Bauverfahren einzuleiten.
Ich empfehle an dieser Stelle eine hervorragende Analyse und Erklärung dieses „betriebs-wirtschaftlichen Nutzen-Kosten-Quotienten“ mit der Frage danach, was eigentlich der gesellschaftliche Nutzen von Verkehr (nicht Mobilität!) ist. (3)
Zum Vordringlichen Bedarf: Im Text (4) findet sich diese Aussage des BMDV: „Voraussetzung dafür ist ein in der Regel hohes Nutzen-Kosten-Verhältnis und ein hoher Beitrag des Vorhabens zur Minderung bzw. Beseitigung von Engpässen. Projekte werden zudem nur dann in den VB-E eingestuft, wenn sie keine hohe Umweltbetroffenheit aufweisen bzw. wenn naturschutzfachliche Probleme bereits umfassend in Planfeststellungsverfahren abgearbeitet wurden.“
Würden bei der Planung und Einstufung der Projekte diese Maßgaben konsequent angewandt, müsste man etliche Projekte aus dem VB des BVWP streichen.
Schauen wir uns nun erst einmal einige signifikante Bewertungskriterien für die Bundesautobahnen (BAB) genauer an.
- Strategische Umweltprüfung (SUP) (5). Die SUP ist erstmalig für den jetzt gültigen BVWP 2015 – 2030 erstellt worden. Aber letztlich sind die Projekte politisch entschieden worden. Es war der GroKo aus CDU und SPD 2016 bei der Abstimmung über die Ausbaugesetze völlig gleichgültig, ob eine Autobahn aus Sicht der Fachleute eine hohe Umweltbetroffenheit aufwies oder nicht. Bedient wurden die Bedarfe vor allem aus Bayern, was nicht verwundert, denn der bis heute nicht verurteilte Veruntreuer mehrerer hundert Millionen Euro, Herr Scheuer, Verkehrsminister a.D., ist in der CSU und folgerichtig Bayer.
Was der Minister für die unionsgetreuen Bürgermeister in Bayern war, waren die Herren Staatssekretäre Bareiß und Ferlemann für den Rest der Unionsregierungen. Ferlemann aus dem Norden der Republik wurde daher auch nicht müde, die Asphaltierung der letzten Moore Niedersachsens vehement zu fordern. Ebenso kämpferisch gesellte er sich zu den IHKen Niedersachsens, vor allem im Raum Lüneburg, Uelzen bis Weyhausen, und fand auch, dass eine Autobahn allemal wichtiger sei als der alternative Ausbau einer bestehenden Bundesstraße.
Diese Beispiele gelten landauf, landab. Bei Diskussionen mit verantwortlichen Abgeordneten stellten viele Menschen in den Initiativen immer wieder fest, dass die Abgeordneten eine SUP gar nicht kannten und offenbar das, was sie da 2016 verkehrspolitisch beschlossen haben, auch nicht. - Kommen wir zu einem Bewertungskriterium, das mit dazu beiträgt, ob eine Autobahn gebaut wird oder nicht: Die Reisezeitverkürzung.
Ein einfaches Beispiel: Ich fahre auf einer Bundesstraße mit dem Auto von A nach B und benötige dafür 20 Minuten. Wenn ich nun auf einer neu zu bauenden Autobahn bereits in 19 Minuten B erreiche, ist das ein positives Kriterium für den Autobahnbau und fließt positiv in das Nutzen-Kosten-Verhältnis ein. - Faktoren Mensch und Tier. Je geringer der Faktor Mensch und Tier, desto größer die positive Bewertung zugunsten eines Autobahnbaus. Aber wo sind denn geringe Mensch- und Tierfaktoren? Genau – im ländlichen Raum. Und ganz besonders dort, wo höchstwahrscheinlich Landwirtschaft im kleineren Familienbetrieb und keine Massentierhaltung stattfinden. Wenig Tiere, wenig Menschen – positiv für den Autobahnbau.
- Die Verkehrsprognose. Sie besteht aus fünf Fachteilen: Der Bevölkerungsprognose, der Wirtschafts- und Verkehrsentwicklungsprognose, der Straßenverkehrs-, der Eisenbahnverkehrs- und der Binnenschifffahrtsprognose.
- Die Bevölkerungsprognose berechnet nach Anzahl der in Deutschland lebenden Menschen die Personenkilometer. Nach einer von wem auch immer aufgestellten Berechnung kommen auf 2 Mio Menschen 30 Mrd. Personenkilometer. Irgendwer hat also ausgerechnet, dass wir pro Person soundsoviele Kilometer pro Jahr
zurücklegen. Ob diese Wege notwendig, ob sie der fehlenden Angebotsstruktur eines Dorfes oder Ortes geschuldet sind oder warum wer welches Fahrzeug wählt, ist dabei völlig irrelevant.
Die Wirtschafts- und Verkehrsentwicklungsprognose erfasst die auf unseren Verkehrsträgern fahrenden Fahrzeuge sowie das Bruttoinlandsprodukt. Die Betrachter:innen dieser Prognose orientieren sich also an Ist-Daten und einem immer noch gültigen Wachstumsdogma für unsere Wirtschaftsleistung. Ein gemeinwohlorientiertes Bewertungsschema (z.B. regionaler Wohlfahrtsindex) käme zu völlig anderen Ergebnissen, weil Probleme beispielsweise durch Schadstoffe, Unfälle, Lärm und anderes negativ einfließen würden und die Belastungen der volkswirtschaftlichen Leistungen im Ergebnis ganz anders aussähen und entsprechend bewertet würden.
Gleiches gilt für die Verkehrsprognose. Wenn ich das politische Ziel habe, beispielsweise die Innenstädte autofrei zu konzipieren, oder wenn diese Koalition sich vorgenommen hat, die Fahrgastzahlen in den Jahren 2021 – 2025 zu verdoppeln, hat das gravierende Auswirkungen auf die Nutzung der Pkw. Weitere notwendige flankierende Maßnahmen zur Stärkung des ÖPNV sowie des Rad- und Fußverkehrs können nur erreicht werden durch massive Beschränkungen des Pkw-Verkehrs und seines Flächenverbrauchs.
Gütertransport: Wenn das Ziel die Verlagerung des Gütertransports stärker auf Schiffe und Züge bleibt, hat auch dies gravierende Folgen für den Lkw-Verkehr auf unseren Straßen.
Aber all diese Ziele und ihre Maßnahmen fließen nicht ein in die Verkehrsprognose. Ergo bleibt ein ständiges Wachsen der Verkehre die Grundlage, woraus sich die Notwendigkeit für mehr Straßen ergibt. - Daraus ergeben sich die so genannten Plan- und Bezugsfälle – der Mit-Fall (Planfall) und der Ohne-Fall (Bezugsfall). Man vergleicht das existierende Netz (Ohne-Fall) plus bereits bewerteter und daher nicht neu zu bewertender Projekte mit dem Mit-Fall, also dem Bezugsfallnetz plus zusätzlicher, neu zu bewertender Projekte. Mit- und Ohne-Fall pro Projekt unterscheiden sich also nur durch das neu zu bewertende Straßenbauprojekt und veränderte Verkehrsströme. Womit wir dann wieder bei den Kriterien und Prämissen landen, die, das ergibt sich allein aus dem Ohne-Fall, dem Bezugsfall, Veränderungen der vergangenen Jahre nicht neu betrachtet werden. Mithin auch keine Klimaschutzziele, Reduzierung von Flächenverbrauch, Ressourcenschutz und Schutz von Agrarflächen.
Wir leben in Zeiten, in denen das Überleben auf diesem Planeten zur zentralen Aufgabe geworden ist. Aber leider nicht für alle. Wir wollen Ressourcen im Boden lassen, wir wünschen uns eine Kreislaufwirtschaft, wollen möglichst wenig Flächen versiegeln, Biodiversität schützen und durch Transformation unserer Wirtschaft klimaneutral unseren Wohlstand aufrechterhalten.
Das wird aufgrund der unterschiedlichen Möglichkeiten und Machtstrukturen innerhalb unserer Gesellschaft schon schwer genug, aber die Verkehrspolitik und mit ihr die Industriekonzerne müssten sich verabschieden vom Wachstumsdogma und einem wahnsinnigen Verbrauch wertvoller Ressourcen. Mit jeder Entscheidung für den Bau einer neuen Straße verbrauchen wir Grünfläche, holzen Wälder ab und pressen Moore trocken. Wir verkippen tonnenweise Sand, verbuddeln Schadstoffe, verbrauchen Bitumen, Steine und Wasser. Wir erzeugen CO2- und Feinstaubausstoß, Reifenabrieb (Mikroplastik) und unterstützen dubiose Finanzierungstransfers und Arbeitsbedingungen zum Einkauf des Baumaterials, z.B. von Sand und Steinen. Tunnelbauten und ihren speziellen Zusatzbedarf nicht eingerechnet.
Was kann man tun?
- Kommunale Verkehrspolitik ändern
- Prozesse für fahrrad- und fußfreundliche Kommunen befördern für mehr Mobilität und weniger Verkehr.
- Immer mehr Straßen und breitere Straßen helfen nicht gegen Staus und tragen auch nicht zur Entlastung von Verkehr bei6. Im Gegenteil (7).
- Klagewege nicht scheuen
- Schriftliche Einwendungen bei Auslegung der Pläne an die zuständige Verwaltung schicken
- Planfestgestellte Teilabschnitte beklagen, wenn z.B. eine hohe Umweltbetroffenheit und ein geringer NKV vorliegen.
- Gerichte sind nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil 2021 sehr sensibel, wenn es um umwelt- und klimapolitische Belange geht.
- Wasserrahmenrichtlinie beachten
- Sich bei erfolgreichen Klagen bei beteiligten Jurist:innen, Planer:innen und den Initiativen erkundigen und Tipps einholen.
- Initiativen unterstützen oder selbst eine bilden und sich bundesweit vernetzten Gruppen anschließen: Initiative Ausbaustopp und Bündnis Verkehrsinitiativen https://www.buendnis-verkehrsinitiativen.com/
Oldenburg, Januar 2023
Eine ausführliche Erläuterung zum BVWP findet ihr in Kürze auf der Webseite der Bundesarbeitsgemeinschaft Mobilität & Verkehr.
(2) https://www.bvwp-projekte.de
(4) Nationales Prioritätenkonzept für bedarfsgerechte Bundesverkehrswege, in: Bundesverkehrswegeplan 2030, https://bmdv.bund.de/SharedDocs/DE/Publikationen/G/bundesverkehrswegeplan-2030-gesamtplan.pdf?__blob=publicationFile
(6) https://t4america.org/wp-content/uploads/2020/03/Congestion-Report-2020-FINAL.pdf