Mehr Straßen = weniger Staus = weniger CO2?

In seinem FAZ-Blog fragt Jürgen Kaube am 20. November 2022:
Warum sinken die CO2-Emissionen der Autos nicht? Weil die Politik falsch plant.

Der verkehrte Verkehr

Die allgemein gängige Verknüpfung von „Freiheit“ und „Mobilität“ hat eine Schattenseite. Sie verhindert eine klimagerechte Verkehrspolitik und trägt dazu bei, dass der motorisierte Individualverkehr (MIV) die vereinbarten Klimaziele deutlich verfehlt. So wird die automobile Freiheit mit Pendlerpauschalen gefördert, die Energiepreise bilden die Umweltschäden nicht ab, Kaufprämien laden zum Kfz-Kauf ein, Straßenaus- und Neubau rollen dem Automobil den „roten Teppich“ aus. In Zahlen: „An der deutschen Gesamtemission von CO2 hat der Straßenverkehr einen Anteil von 20 Prozent, 2010 waren es noch 16,4 Prozent. … Nach Verkehrsträgern berechnet, gehen mehr als 60 Prozent der CO2-Emissionen auf Pkws zurück, 26 Prozent auf Schwerlaster und gut 13 Prozent sowohl auf die zivile Luftfahrt wie auf Schiffe.

Wieso gehen in anderen Sektoren die Energieverbräuche und CO2-Belastungen zurück, nur nicht beim Verkehr? Hier nimmt der Autor die Politik in die Pflicht, die noch immer Wirtschaftswachstum mit Mobilitätswachstum gleichsetzt. „An dieses Wachstum passt sich die Planung von Infrastrukturen nur an, ohne zu sehen, dass sie damit zur sich selbst erfüllenden Vorhersage wird: Man plant für mehr Verkehr und bekommt ihn aufgrund dieser Planungen auch.“ Diese Politik bildet sich ab im Bundesverkehrswegeplan (BVWP), der alle Infrastrukturprojekte im 15-jährigen Rhythmus als gesetzlich legitimierte Vorhaben ausweist. Klimaziele, wie sie 2016 vereinbart worden sind, fehlen daher im aktuellen BVWP 2030.

Zudem hat sich gezeigt, dass die projektierten Kosten deutlich zu gering kalkuliert werden, während der angenommene Nutzen, das sind vor allem monetarisierte Reisezeitgewinne, erheblich überschätzt werden – nicht zuletzt, weil darin auch die erwartete Zunahme des Kfz-Verkehrs, der sogenannte induzierte Verkehr, eingepreist wird. Kritik vom Bundesrechnungshof an dieser Kosten-Nutzen-Berechnung perlt am Bundesverkehrsministerium ab. Und so ist möglich, dass „eine Stunde im Stau fünfmal höher bewertet wird als eine Stunde, die durch einen Unfall verloren geht. Fünf Minuten Zeiteinsparung werde so schnell bei 15 000 Pkws am Tag und einer Lebensdauer der Straße von achtzig Jahren zu einem ungeheuren Nutzen, auch wenn für die Individuen fünf Minuten fast unter der Wahrnehmungsschwelle liegen.“ Tatsächlich werden beim „4zu1“-Projekt B51/64n sogar Reisezeitgewinne unter einer Minute aufsummiert – also wenn jemand nur von Telgte nach Handorf fährt und vielleicht 20 Sekunden „gewinnt“.

Am Ende bedeutet dies, dass die Kosten für die Vorhaben mehr als doppelt so hoch ausfallen, wie projektiert – beim „4zu1“-Projekt aktuell 112 % Mehrkosten noch vor der Planfeststellung!

Blickt man zurück auf realisierte Projekte und die zugrundeliegenden Prognosen, zeigt sich, dass die Erwartungen an die Verkehrszunahme und Stauabnahme oft nicht eingetroffen sind. So wurden nach dem Ausbau der Umgehungsstraße 44000 Kfz täglich vorhergesagt, aber bei weitem nicht erreicht. Und die Prognose aktuell liegt bei 33000 Fahrzeugen.

Die Annahmen über Wirtschaftswachstum, sinkende Energiepreise, mehr Kfz, steigende Bevölkerungszahlen und Haushaltseinkommen treiben den vermeintlichen Bedarf an asphaltierter Infrastruktur. Tatsächlich gibt es mehr Kfz, aber weniger Personenkilometer. „Dabei sind die Reisezeiten der Personen im Durchschnitt erstaunlich stabil. Pro Tag werden im Mittel drei Wege zurückgelegt und dafür 60 bis 70 Minuten Wegezeit eingesetzt. Verändert haben sich hingegen die Entfernungen, die zurückgelegt werden. Das heißt auch: Die Zeiteinsparung durch schnellere Automobile und mehr Verkehrswege wird vollständig wieder in den Verkehr investiert und dort durch längere Distanzen und Staus “aufgefressen”. Es gilt hier das Sprichwort: “Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten”, in jede zusätzlich gebaute Spur strömt zusätzliche Mobilität. Siebert schätzt diese Zunahme des Verkehrs durch Straßenneu- und -ausbau auf jährlich ein Prozent.“

Diese Zunahme des MIV, höhere Geschwindigkeiten und längere Fahrtstrecken (bei etwa gleicher Reisezeit) haben zur Folge, dass es mehr Staus gibt (tägliche Staumeldungen) und mehr CO2 entsteht. Dies ist genau das Gegenteil davon, was die Planer im Verkehrsministerium versprechen.

Bezogen auf die B51 würde dies bedeuten: eine Optimierung der Ampelschaltungen am Handorfer Kreuz, am Pleistermühlenweg und eine Verringerung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf 50 km/h würden die aktuell sinkenden Kfz-Verkehre locker bewältigen, brächten weniger CO2-Belastung und Staus. Nicht zuletzt wären diese Maßnahmen sofort umsetzbar und vergleichsweise kostenfrei.

Zitate:

Jonathan Siebert: Wie kann eine konsequent klimagerechte Verkehrsplanung aussehen? WZB-Discussion-Paper, September 2022

Quelle: https://blogs.faz.net/fazit/2022/11/20/der-verkehrte-verkehr-12951/index.html

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